Schluchten und Walnüsse – Mit dem Rennrad im Vercors

Wer an die französischen Alpen denkt, dem fallen Pässe wie der Col du Galibier, L’ Alpe d’ Huez oder der Col d’ Izoard ein. Kaum ein Rennradfahrer beschäftigt sich mit dem Vercors südwestlich von Grenoble, einem kleinen, kompakten Gebirgsstock am Rande der Alpen.

Aussichtspunkt in der Nähe des Dorfes Presles

Die Region um Grenoble ist eine der bekanntesten Anbaugebiete für Walnüsse. Jetzt, Ende September, beginnt die Ernte der edlen Nüsse. Die Nussbauern – die Nuciculteurs – fahren mit Ihren sonderbaren Maschine unter den Baumreihen auf und ab. Der grüne Rasen ist vor lauter Walnüssen kaum noch auszumachen.

Ich stecke mir sechs Nüsse als Proviant für die anstrengende Tour in die Trikottasche, während ich am Fluss Isère auf den ersten 20 Kilometern von Anstiegen weitestgehend verschont bleibe. Das ändert sich schlagartig hinter dem Dorf Cognin-les-Gorges.

Gorges? Das französische Wort für Schluchten kündigt Spektakel an. Die Straße windet sich durch den Wald hinauf in die einsame Bergwelt des Vercors. Kaum ein Auto oder Motorrad in den kommenden Stunden. Mit etwas Glück sieht man Wanderfalken bei der Jagd. À la bonne heure! Die Gorges du Nan verspricht mit ihrer in den Berg gesprengten Straße Spektakel. 11 Kilometer Kletterpartie durch atemberaubende Kulisse. Hinter dem kleinen Weiler Malleval-en-Vercors rolle ich auf eine Hochebene, die im Winter Skilangläufern vermutlich beste Bedingungen bietet. Ruhe und Abgeschiedenheit wurden hier offensichtlich erfunden. Unzugänglich wirkt das Plateau – nur mit Mühe über eine der drei kurvenreichen Zufahrten erreichbar. Hinter Presles mit seinen 89 Einwohnern knickt die Straße zwischen Bäumen abrupt nach rechts ab. Jedem Rennradfahrer dürfte es in diesem Moment den Atem verschlagen. Eben noch zwischen lieblichen Wiesen geradelt, stehe ich jetzt zwischen Felsen aus Kalkstein. Irgendwo unterhalb von mir werde ich in wenigen Minuten in die nächste Schlucht eintauchen, der Gorges de la Bourne. Deren Straße ist deutlich breiter, aber zu dieser Jahreszeit auch nicht stark befahren.

Es ist warm Anfang Oktober. Zur Mittagszeit fülle ich die Trinkflaschen am Brunnen des Dorfes Choranche auf und gönne mir zwei Orangenlimonaden im Café nebenan. Inzwischen befinde ich mich tief im Herzen des Vercors. Die Departments Isère und Drome teilen sich den bergigen Kuchen, dessen bekanntester Ort Villard-de-Lans ist. Bis dorthin verschlägt es mich heute nicht. Ein weiteres, einsames Hochtal wartet, in dem die Gemeinden Saint-Julien- und Saint-Martin-en-Vercors für jeden Besucher dankbar sein dürften.

Es ist früher Nachmittag. Der Ort Pont-en-Royans kommt da gerade recht für ein kleines Mittagessen. Ich bin zurück am Fluss Bourne. Das Dorf knackt zwar auch nicht die 1000-Einwohner-Marke, kann dafür aber mit einer echten Sehenswürdigkeit aufwarten, den “Maisons suspendues de Pont-en-Royans.” Eine Häuserreihe, die schief und farbenfroh oberhalb des Flusses in den Felsen gebaut wurde. Vive la France! Während ich den Salat mit regionalen Kostbarkeiten esse, erlebt das Dorf sein Highlight des Tages. Ein LKW hat sich verfahren. Kein Weiterkommen in den engen Schluchtenstraßen. Die Wirtin und zwei Einheimische helfen beim Wendemanöver.

Zwanzig Kilometer bleiben, bis ich meinen Campingplatz “Cote-Vercors” in Saint-Nazaire-en-Royans wieder erreiche. Der ist übrigens eine kleine Perle und zudem noch in deutscher Hand. Christiane und Thomas haben sich hier zwischen Walnüssen und Schluchten Ihren Traum erfüllt und glänzen mit Insider-Informationen und Hilfsbereitschaft. Der Kühlschrank im Aufenthaltsraum wurde eigens für einen durstigen Radsportler angeschlossen, der nun seine Trikottaschen leert und sich fragt, warum er statt sechs Nüssen jetzt sieben in der Trikottasche hat.

Strampeln ohne Ampeln plant in den kommenden Jahren zwischen Anfang April und Mitte Oktober weitere Trainingslager vor Ort. Bei Interesse gerne melden.

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