Pyrenäen mit dem Rennrad – Etappe 6

Hourquette d‘Ancizan und der Col d‘Aspin

In der Nacht hat es kräftig geregnet. Der Morgen ist trüb. Den Plan, eine große Runde inklusive Col du Tourmalet zu fahren, muss ich verwerfen. Zu kurz ist die Zeitspanne zwischen trockenen Straßen und angekündigten Gewittern am Nachmittag. Jeder, der im Hochgebirge mal in ein Unwetter geraten ist, weiß, wie riskant das auf einem Rennrad auf einem Pass sein kann.

Kurzerhand wird eine abgespeckte Tour gebastelt. Ab Bagnières-de-Bigorre habe ich die Qual der Wahl. Der Col d‘Aspin, der Col du Tourmalet und die Hourquette d‘Ancizan sind allesamt in Schlagdistanz. Das Hütchenspiel entscheidet. Ich starte mit der Hourquette d‘Ancizan. Eine gute Stunde bin ich durch das Campan-Tal bis zum Beginn der Steigung unterwegs. Inzwischen habe ich Bilderbuchwetter. Familien sitzen an kleinen Bächen mit glasklarem Wasser und picknicken. Nadelwald links und rechts auf den ersten Kilometern. Gerade Nadelwald wirkt auf mich bei langen Anstiegen immer besonders beruhigend. Auch den dortigen Schatten nehme ich gerne in Anspruch. Der Wald lichtet sich und ein traumhaftes Tal präsentiert sich in saftigem Grün, der Wildbach weiterhin rechts von mir. Die Hourquette d‘Ancizan entpuppt sich als wahres Juwel unter den Pässen. 

Seit 2011 wurde der kleine Pass fünf Mal in die Strecke der Tour de France integriert. Völlig zurecht. Die leichtere Nordwestseite, die ich gerade befahre, beansprucht der Franzose Thibaut Pinot für sich, der hier 2016 und dieses Jahr die Bergwertung gewann. Als deutlich anspruchsvoller gilt die andere Seite mit einer Durchschnittssteigung von etwa 7,7 %. Ob das auch der schwarze Esel weiß, der auf der Passhöhe stoisch mitten auf der Straße steht? Nutztiere leben in diesem Teil der Pyrenäen frei, also ohne Zäune. Mal entdecke ich eine Kuh zwischen Nadelgehölz, mal steht ein Vierbeiner entspannt auf der Straße. Bei Abfahrten ist also Vorsicht geboten. 

Ich rolle zurück ins Tal. Die Kondition spielt mit, so dass ich den Col d‘Aspin von seiner Westseite befahre. Damit wäre zumindest dieser Pyrenäenpass von beiden Seiten bezwungen. Zu wissen, dass oben bei Sonnenschein Kaltgetränke auf mich warten, macht mich zwar nicht schneller, aber wenigstens entspannter. 

Und die Vorfreude auf 25 Kilometer Abfahrt ist auch nicht zu verachten. Zum ersten Mal auf der Reise filme ich die Abfahrten teilweise mit meiner Vupoint-Kamera. Eine nette Spielerei. Mal sehen, was sich aus den Aufnahmen später zusammenschneiden lässt. 

In Campan habe ich ein nettes Café entdeckt, in dem die heutige Tour bei einer Panaché endet. Radler klingt irgendwie angemessener. Das zumindest haben wir der Radsport-Nation Frankreich voraus.

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