„Les 3 cols“ im Nationalpark Mercantour

Ein strahlend blauer Himmel begrüßt den Tag auf dem Camping des Rouges Gorges unweit des Dorfes Guillaumes (636 Einwohner). Ich befinde mich in den Alpes Maritimes 90 Autominuten von Nizza entfernt. Der Campingplatz ist nach der benachbarten Daluis-Schlucht benannt, die mit Ihren roten Felsen eher an den Wilden Westen erinnert, nicht aber an die französischen Alpen. Das Gebirge wächst ab hier kräftig in die Höhe. Die ersten 2000er wollen überwunden werden. Und genau deshalb bin ich hier, südlich der Alpenpässe Col des Champs, Col d’Allos und Col de la Cayolle. Alljährlich veranstaltet der Club Cycliste de l’Ubaye in Barcelonnette nördlich der Pässe die knüppelharte Ausfahrt „Les 3 cols.“ Daran nehme ich nicht teil, denn Guillaumes liegt südlich der Pässe, aber das Ziel ist identisch.


Um 10.45 Uhr rolle ich mit einem kräftigen Müsli im Magen über die D2202 entlang des Flusses Var, der an der Cote d’Azur direkt neben dem Flughafen Nizza ins Mittelmeer mündet. Die ersten 14 Kilometer eignen sich gut zum Einrollen. Der Anstieg ist gemessen an dem, was noch folgt, eher der Schongang. Dann erwartet mich der erste Anstieg zum Col des Champs (Alt. 2.087 m). Die Ostrampe ab dem Dorf St. Martin d’Entraunes windet sich 16,5 km bis auf den Gipfel der Hors Catégorie (HC), denn es sind 1.085 Höhenmeter zu überwinden, ehe es hinunter ins Nachbartal des Verdon geht.  

Als Bergpass ohne Gasthaus oder Schutzhütte bin ich auf gutes Wetter angewiesen und werde nach exakt 2 Stunden Fahrt nicht enttäuscht. Für die Abfahrt reicht eine leichte, winddichte Jacke.

Angekommen im Allos-Tal, durch das sich der Fluss Verdon windet, steigt die Straße ab dem Dorf Colmars-les-Alpes in einer Höhe von 1.270 m wieder langsam an. Ich passiere die Skiorte Allos und La Foux-d’Allos, ehe es hinauf geht auf den gleichnamigen Col d’Allos (Alt. 2.247 m). Der zweite der eher unbekannten drei Alpenpässe war Bestandteil einer Alpenetappe der Tour de France 2015, die der Deutsche Simon Geschke anschließend in Pra Loup, einem weiteren Skiort, gewinnen konnte. Da ich den Pass schon von beiden Seiten befahren habe, weiß ich, was mich erwartet. Immerhin Kategorie 1 mit 978 hm auf 24 km Länge und eine gefährliche Abfahrt, da die Straße sehr eng und stellenweise Kurven schlecht einsehbar sind. Dafür sind die 17 km bergab landschaftlich ein Augenschmaus und laden zu dem einen oder anderen Foto ein. Murmeltiere sind allerdings zu flink für meine Linse. Und Schnee sucht man um diese Jahreszeit vergeblich. 

Ein weiteres Tal begrüßt mich auf einer Höhe von 1.200 m. Hier fließt der Bachelard durch eine kleine, hübsche Schlucht. Der Straße folgend beginnt der letzte und längste Anstieg. Das Problem: Auf dem Col d’Allos war der Gasthof geschlossen und im Dorf Uvernet-Fours spendiert der Brunnen kein Trinkwasser. „Non potable.“ Und es ist heiß. Also muss ich mit meinen Wasserreserven haushalten die 26,5 km (1.150 hm) hinauf auf den Col de la Cayolle (Alt. 2.326 m), dem höchsten Punkt der Tour.
Die Kräfte lassen deutlich nach. Immer häufiger kommt der Gedanke auf dem gar nicht mal steilen dritten Anstieg, umzudrehen und in die Kleinstadt Barcelonnette zu fahren. Den Pass könnte ich ja auch am nächsten Tag nach einer Übernachtung in einem Hotel inklusive gutem Frühstück in Angriff nehmen. 

Ich ziehe es lieber durch und stoppe einen VW-Bulli mit Essener Kennzeichen auf der Suche nach etwas Trinkwasser. Das ältere Ehepaar drückt mir eine Flasche Mineralwasser in die Hand und zollt mir Respekt für die Qualen des heutigen Tages. „Darf ich Ihnen etwas für die Flasche bezahlen?“ Die Antwort kenne ich bereits. Wie der Ruhrpott. Herzlich, kurz und knapp: „Nein!“ Danke, liebes Ehepaar! Ich denke immer an euch, wenn ich auf den Touren daheim in Essen-Kettwig einfahre. 

Mit dem letzten Riegel und einem guten Schluck Flüssigkeit nehme ich also den dritten Pass in Angriff. Die Sonne steht schon tief. Für schöne Fotos habe ich keinen Nerv mehr. Ein wunderschönes Panorama mit Hirte und seinen Schafen an einem kleinen Bach in goldenem Herbstlicht bleibt „nur“ im Gedächtnis. Als Trost erreiche ich ohne Absteigen den Col de la Cayolle. Er wird immer mein Lieblingspass bleiben, da ich ihn vor vielen Jahren als ersten Alpen-2000er bezwungen habe. Auch landschaftlich ist er ein absoluter Genuss. Wird es auch die Abfahrt? Ein Motoradfahrer aus München erzählt: „Unten im Tal hat es gewittert. Ich bin klatschnass geworden.“ Und ich sehe es von Weitem. Gewitterwolken, die glücklicherweise abziehen. Aber eine nasse Abfahrt (31 km, 45 Minuten)? Das ist nicht ungefährlich, zumal die Konzentration nach 7 Stunden leidet.    

Es wird eine legendäre Abfahrt. Obwohl ich nicht einmal auf den insgesamt 138 Kilometern in Regen gerate, erreiche ich Guillaumes durchnässt wegen des Spritzwassers der vom Gewitter noch nassen Straße. Meine Schuhe fühlen sich an wie Betonklötze. Zuvor durfte ich auf der ersten Passage der Abfahrt noch Kühen und Ziegen auf der Straße ausweichen. Manöver, die man bei 50 km/h auf dem Rennrad bergab nicht herbeisehnt. Und Gratulanten warten in Guillaumes leider auch nicht auf mich. Dafür aber ein winziger Supermarkt mit gekühlten Getränken. 

A bientot, Guillaumes. Ich komme wieder zu meinem Lieblingspass!

Mehr Infos zu den „3 Cols“ bietet der Club Cycliste de L’Ubaye.

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